Es geht um existenzielle Dinge in der Kunst von Carola Czempik. Um nichts Geringeres als das Sein. Dieses Sein aber denkt die Künstlerin nicht allein vom Menschen aus, sondern von seinem, von unserem Eingebunden-Sein in einen übergeordneten Kontext. Insofern zielt ihre Kunst inmitten des derzeit viel diskutierten Anthropozän. Das erdgeschichtliche Zeitalter, das geprägt ist vom Eingriff des Menschen in den Planeten. Auf die ihr eigene, subtile Art macht Carola Czempik sichtbar, was wir – die Spezies des Anthropozän – übersehen und übergehen, mit immer neuen, menschengemachten Stoffen überdecken, zubetonieren oder im Namen eines nimmersatten Fortschritts mehr und mehr entmaterialisieren.

Verschiebung stofflich
Die Bilder setzen dieser zunehmenden Entmaterialisierung eine Stofflichkeit entgegen, die das Leben auf diesem Planeten ursprünglich ausmacht: Erdmaterialien und in dieser Ausstellung speziell das Terran. Jenen Krustenblock, der sich durch Verschiebung des Erdmantels gebildet hat und sich nach einer langen Wanderung an einen anderen Kontinent angelagert hat. Diese An- und Überformungsprozesse von Terranen, diese Verschiebungen finden auch in Czempiks Kunst statt. In ihrer Materialität, aber auch durch die Entschleunigung in den Arbeiten. Mit ihren Schichtungen und Verschiebungen erzeugt die Künstlerin Schwingungen, die sie in ganz unterschiedlichen Bereichen und auf ganz verschiedene Arten aufspürt und in den Kunstkontext transformiert.

Das Material schwingt
Die Schwingungen der Erde, wenn sie einen Schwerpunkt auf das Erdmaterielle legt – schließlich werden Schwingungen auch in Erdkrustenstücken beobachtet. Geistige Schwingungen, die im dialogischen Prozess mit Lyrik, Prosa oder Musik einfließen; aber auch die Verschiebungen im Weltgeschehen, in unserem Alltag und in der Politik spiegeln sich in diesem Werk. Nur eben nicht illustrierend oder narrativ. Ein weiteres Schwingungsmoment ist das des Miteinanders. In der konkreten Kooperation und Konfrontation mit bildenden Künstlerinnen wie Betina Kuntzsch oder mit Musikerinnen wie der Violinistin Alexa Renger. Im Prozess dieser Zusammenarbeit – wo mal die Musik geführt hat, mal der Zeichenstift – haben die Schwingungen, die der Musik innewohnen, die physikalischen wie die emotionalen, ganz eigene Tonalitäten entwickelt. Sichtbar und hörbar in den Zeichnungen der Serie SPRIESSEN. JAGEN.

FREMDE SONNEN, FLUTEN, STRÖME. Das Material schwingt nicht zuletzt in den Bildtiteln. Worte und Bedeutung, Sinn und Klang als Bedeutungsverschiebung.
FESTE WASSER. In der Natur kommen sie in gefrorenem Zustand vor. Bei Carola Czempik bestehen sie aus: Eukalyptus, Cellulose, Granit, Schiefer, Kaolin oder Talkum. Auch die Oberflächenstruktur der Bilder ist von den Eigenschaften des Wassers weit entfernt. Da jedoch, wo wir motivisch noch am ehesten eine Vorstellung vom flüssigen Element bekommen, lautet der Titel ABEND MORGEN TAG.

Ikonologie der Farbe
Indem Czempik die Farben nicht mit gewöhnlichem Malwerkzeug herkömmlich auf die Leinwand aufträgt, sondern sie mit besonderen Papieren schichtet und mit speziellen chemischen Methoden bearbeitet, entstehen Zwischenräume, die eigenwillige Farbschichtungen hervorbringen. Gleich ob die Oberflächenstruktur glatt und fein ist oder aber eine grobe, reliefartige Haptik aufweist.
Es geht also nicht vornehmlich um die Peinture, sondern um eine Ikonologie der Farbe, deren Bedeutung Czempik materialgebunden auflädt, wenn sie die Werkstoffe eigenhändig aus unterschiedlichsten Gesteinen, Mineralien und Pigmenten zusammensetzt und erforscht. Es geht also nicht vornehmlich um die Peinture. Czempik erforscht und setzt die Werkstoffe eigenhändig aus Gesteinen, Mineralien und Pigmenten zusammen und lädt die der Farbe materialgebunden auf. Es geht mithin um eine Ikonologie der Farbe.

FREMDE SONNEN strahlen nicht in kräftig warmen Sonnengelb. Aufgehellt oder durch die Beimischung von Schwarz gebrochen, oszillieren sie zwischen Zitronen- und Grüngelb. In einigen Zonen eher fahl. Was ist vertraut in dieser Farbigkeit? Was fremd an diesen Sonnen?
Ein ähnliches Vexierspiel bieten die STROEME. Schon das extreme Hochformat weckt Assoziationen an ein Kanu. Doch gleitet es mitnichten durch fließende Ströme. Es fällt herab von der Decke, taucht unter. Welche Art von Strömen hier zu entdecken sind, überlässt Czempik geschickt dem Betrachter.

Wohnst du noch oder lebst du schon? — Terrestrische Relikte
Eine weitere Entdeckung ist die Installation HERE I AM LIVING im Kabinett. Wie auf einer schwarzen Insel liegt ein undurchdringlicher, amorpher Körper im Raum. Seine Bestandteile sind Fasern des Kapokbaums. Ein Material, das fast nicht mit Wasser verbunden werden kann. In dieser Widerständigkeit liegt der Reiz für die Künstlerin. Die Industrie nutzt diese Eigenschaft unter anderem als Füllmaterial von Schwimmwesten. Die kohlrabenschwarze Plattform besteht aus mit Flammruß bemalten Schalldämmplatten. Darauf ein dünner, roter Faden und einige Blüten oder Pilze. Fossile Spuren am Rande. Der rote Faden in der Mitte bietet Halt und bildet eine Art Auftakt, ein Tor zu diesem Ort.

HERE I AM LIVING. Wer oder was ist dieses Ich, das das sagt? Und ist es eine Einladung? Here I am living – come in and find out? Ist es Behauptung, trotzende Selbstbehauptung in Zeiten des Terraformings – wo Pflanzenzüchtungen erforscht werden, die dem Boden Schwermetalle entziehen?

Schichtwerke aus komprimiertem Klang
In den Bildern schwingt das Material durch die vielfältigen Schichtungen und zwischen den Schichten, in den Zeichnungen – mit ihren Linien, Verdichtungen und Notationen – durch die Musik. Wenn Carola Czempik von Notation spricht, so meint sie nicht die Noten der Musik, sondern die Notation als ein, wie es der Duden definiert, „System von Zeichen oder Symbolen einer Metasprache“. Denn die Linie hat in diesen Zeichnungen einen anderen Charakter als beim Alleine-Zeichnen. Aber geschichtet und überlagert hat die Künstlerin auch hier: „Mich interessiert ein sichtbarer Entwurf von Klang. Ein Fragment aus einem Prozess herauszufiltern, eine Spur aufzunehmen. Wenn der Ton, der Klang verfliegt, ist die Notation noch vorhanden. […] Als sinnvoll empfinde ich es im Geist der erklungenen Tonwerke, die Zeichnungen weiterzuentwickeln. So werden sie zu Schichtwerken aus komprimiertem Klang.“

Michaela Nolte
Journalistin, Autorin und Kuratorin, Berlin