Auf der Suche nach einem Titel für eine Präsentation des faszinierend vielfältigen künstlerischen Schaffens der Malerin Carola Czempik ergab sich ganz logisch die Assoziation mit Begriffen aus der Naturkunde, der Mineralogie, Botanik oder Biologie, wo die Vielgestaltigkeit der Phänomene als Polymorphie bezeichnet wird. Ich betrachte diesen Begriff als Schlüssel zum Verständnis. Das Poetische der Materie erscheint, wenn in künstlerischer Aneignung und Verwandlung aus dem Stofflichen das Sinnliche wird und das Unendliche zu erahnen ist.

Unter Naturwissenschaftlern und Künstlern wächst das wechselseitige Interesse am jeweiligen Gegenstand experimenteller Forschung. Die Künstlerin Carola Czempik arbeitet wie eine Naturforscherin. In langwierigen, zeitaufwendigen Prozessen und intensiver Auseinandersetzung mit dem Material sucht sie nach dem Elementaren und gewinnt dadurch eine zusätzliche Dimension künstlerischer Abbildung der Natur. Salze und Gesteinsmehle, Pflanzen und Chemikalien gehören zu den Gegenständen ihrer forschenden Neugier auf die Ursprünge des Lebendigen. Schicht auf Schicht entstehen faszinierend vielgestaltige Bilder, in denen die Moleküle aufeinander zu reagieren scheinen. Feine reliefartige Oberflächenstrukturen imaginieren die Prozesse alchimistischer Reaktionen unter den Elementen. Dem Betrachter erschließen sich neue Einsichten in die Zusammenhänge von Kunst und Natur. Ihre Malerei berichtet von dem Versuch, die Welt in ihrem Grundaufbau zu verstehen und zu deuten, was hinter dem Sichtbaren verborgen bleibt.

Carola Czempik äußert selbst über ihre Arbeitsweise:
"Das Werden und Vergehen von Materie ist für mich ein wichtiges gestalterisches Thema. Mineralische Gesteine, die zu den Ursubstanzen der Erde gehören, verwende ich als Gesteinsmehle innerhalb meiner Arbeitstechnik. Bevorzugt sind Marmor, Feldspat, Quarz, Calcit, Dolomit, Basalt, Schiefer und Granit. Meine Arbeitstechnik besteht aus einer Schichtung von zahlreichen dünnflüssigen und verschiedenfarbigen Acryl-, Öl- und Wachslasuren unter Einbeziehung von feinsten Papiergeweben (aus Japan und China sowie selbst geschöpften), Pflanzenteilen, Schellack, Tonerden, Gesteinsmehlen und Salz sowie selbst gebrannten Aschen. Die Materialien werden spielerisch und experimentell benutzt; es entsteht der Eindruck einer Variation von Bodenschätzen, ebenso wie von Bodengiften, immer an der Schnittstelle zwischen Fruchtbarkeit und Verödung."

Zu ihrem zentralen Thema SALZ erklärt die Künstlerin:
"Mich interessieren die transformatorischen und alchimistischen Prozesse, die durch meine Arbeitsweise hervorgerufen werden."
Die Künstlerin sieht im Salz einen Urstoff an der Grenze zwischen den Elementen Erde und Wasser, zwischen statischem Sein und dynamischem Fließen. Die Kräfte des Salzes bergen extreme Pole, einerseits Ernährung und Heilung, auf der anderen Seite Vergiftung und Tod. Also wirkt Salz als Mittel der Fruchtbarkeit und Gesundheit, als Leben spendendes, aber auch als Tod bringendes Element, das den Boden verwüsten und veröden kann. Und die Kuratorin Annette Maechtel, Beraterin für die Salz-Ausstellung 08 in der Villa Kobe, Halle, schreibt: "Salz wird direkt auf Leinwände aufgetragen und unterschiedlich mit Pigmenten oder Lasuren weiter bearbeitet. Die Materialerkundungen zeigen auf den Bildträgern die vielfältigen Zustände und Transformationen, die Salz als Materie haben kann und ergeben ein Vokabular des Salzes."
Außerdem stellt Carola Czempiks Schaffen eine starke Beziehung zur Literatur her, deren Spuren ihre Bilder durchziehen und deren spirituelle Aussagekraft verstärken. Diese Affinität wirkt nicht illustrierend, sondern essentiell.

Jo Eckhardt † 2012
Galerie Abakus, Berlin-Weißensee, 2007 - 2016
25 Jahre Aufbau und Leitung des Video Forums, Neuer Berliner Kunstverein