Zum ersten Mal wird der Isolde-Hamm-Preis vergeben. Ihn verlieh die Jury Carola Czempik. Ihre abstrakten Bildwelten verfügen über einen ganz eigenartigen Reiz. Es besteht ein Spannungsfeld zwischen den großzügigen Formen - die man glaubt auf den ersten Blick zu erfassen - und der überaus feinen Binnenstruktur. Man muss genau hinsehe,die Oberfläche erforschen und Schriften und Strukturen finden. Ihre Bilder entstehen aufwendig, in vielen Schichten. Farben, gemischt mit gemahlenen Gesteinen, beispielsweise mit Marmor aus Carrara, mit Quarzen, Dolomit und Basalt. Acryl, Öl- und Wachslasuren werden einbezogen, ebenso Pflanzenreste, Papiergewebe, Schellack, Salz, Tonerden. Dadurch entstehen die sensible, plastisch strukturierten Oberflächen.
Das Prozesshafte, der gesteuerte Zufall ist ihr wichtig. Ich zitiere: "Die verflüssigten Materialien treten innerhalb der bildnerischen Arbeit in einen Transformationsprozess ein und gestalten eine imaginäre Bilderlandschaft, die sich durch die Zeit in vielschichtiger, rhythmischen Veränderung befindet. Das Werden und Vergehen von Materie ist für mich ein wichtiges gestalterisches Thema."
Das Sichtbare in der Malerei dient als Vorratslager an Zeichen und Spuren, denen das Auge einen umformenden geistigen Wert zuweist. Wichtige Themen sind für Carola Czempik zum einen Entstehungsprozesse der Erdkruste, deren Verflüssigung, Verfestigungen und Verwitterungen, zum anderen Gen und Zellforschung. Aufnahmen von Zellstrukturen als "Bausteine des Lebens" werden von der Künstlerin in riesigen Vergrößerungen sichtbar gemacht.

Für ihre Betrachtungen und Bildwelten sucht die Malerin nach Analogien, insbesondere in der Literatur. Ihre Umsetzungen sind keine Illustrationen. Vier Jahre beschäftigte sich Carola Czempik mit dem Werk von Sarah Kirsch - das wusste die Jury nicht. In ihren Bildfindungen geht es der Malerin um die Suche nach den Wurzeln, um die Hinwendung zu den Grundmustern menschlichen Daseins. Für mich ist es überraschend, bestimmte Formen und Farbklänge bei beiden Künstlerinnen festzustellen. Sarah Kirsch, die auch malt - vor allem Aquarelle - und die Preisträgerin. Vielleicht gibt es eine Seelenverwandtschaft?

Die Biografien sind zumindest unterschiedlich. Carola Czempik ist 1958 in Hildesheim geboren. Von 1976 - 1983 studierte sie Germanistik und Theaterwissenschaft an der FU Berlin und 2 Jahre Schauspiel und modernen Tanz an der UDK Berlin. 10 Jahre arbeitete sie danach als Theaterpädagogin in Deutschland und Italien. Von 1986 - 1990 war sie Mitglied der freien Tanztheatergruppe "Belladonna". Außerdem studierte sie von 1987 - 1990 an der UDK Berlin Bildhauerei bei F. Dornseif und J. Hashimoto und bis 1993 freie Malerei bei Prof. Herrfurth. 1994 war Carola Czempik Meisterschülerin bei Prof. Herrfurth und ihr Sohn wurde zu diesem Zeitpunkt geboren.

Seit 1993 arbeitet die Künstlerin freischaffend. Sie leitet Workshops zur Bildenden Kunst und Performance. Immer wieder probiert sie Neues. Seit 2005 gibt sie Weiterbildung innerhalb von Sommerakademien.

Die in Glienicke bei Berlin lebende Künstlerin hat sich seit 1994 an zahlreichen Ausstellungen beteiligt, beispielsweise an der Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst, München, im Jahr 2000. Ganz in der Nähe, nämlich in der Villa Kobe in Halle. stellte sie 2006 und in diesem Jahr aus. 2008 unter dem Titel "Salz, Arbeiten mit und über Salz von 12 Berliner Künstlerinnen". Ihre nächste Personalausstellung wird am 13. September in der Galerie ABAKUS, Berlin, eröffnet. Als "Poesie der Materie" werden ihre Bilder bezeichnet.
In dem Augustheft der art befasst sich der Leitartikel von Elke Buhr "Schön. Sonst nichts? - Die abstrakte Kunst ist wieder da" mit abstrakter Malerei heute. Zitat: "Das reinen Formen einmal gesellschaftliche Sprengkraft zugeschrieben wurde, daran wollen die heutigen Abstrakten anknüpfen. Es geht ihnen um die Freiheit, die das Erforschen und Erschaffen möglicher Welten bedeuten kann: Welten aus Farbe, Linie und Form".

Andrea Richter-Mahlo
Kunsthistorikerin, Leipzig